«Die Gymeler sind nicht schlauer als wir»

Der Standpunkt begleitet die beiden Lernenden Anisa Morina und Kilian Thürkauf während ihrer Lehrzeit und spricht regelmässig mit ihnen über ihre Erfahrungen.

Standpunkt: Guten Tag Anisa, guten Tag Kilian. Wir haben uns zuletzt vor einem Jahr gesprochen – was ist seither bei euch passiert?

Kilian: Ich habe mich sicherlich weiterentwickelt, habe Routine gewonnen und Selbstsicherheit. Wir haben ein Semesterzeugnis und ein Jahreszeugnis erhalten. Mit diesen bin ich sehr zufrieden, ich habe einen Schnitt von 4,8. Dafür musste ich schon was tun – ich hatte gehofft, dass es gut rauskommt, aber erwarten kann man sowas nicht. Ich kenne meine Stärken und Schwächen und bin erstmal sehr zufrieden. Nächstes Jahr stehen die ersten Abschlussprüfungen an, das macht schon ein bisschen nervös. Das erste Lehrjahr ist der Anlauf für das was kommt, wenn es ernst gilt.

Anisa: Ich habe nach einem halben Jahr die Abteilung gewechselt, vom Datenmanagement ins Verbandsmanagement. Beides war eine gute Erfahrung. Ich habe für mich herausgefunden, dass mir die Arbeit mit Daten sehr gefällt und dass ich das offenbar auch gut mache. Das hat mich auch ein bisschen erstaunt (lacht). Am Anfang der Lehrzeit ist man verunsichert und weiss nicht so recht, wo man steht, und das lernt und erfährt man jetzt Stück für Stück.

Kilian: Das ist halt schon das, was die Lehre von einem Studium unterscheidet. Man erfährt bei der Arbeit schnell und mehr über sich.

Anisa: Genau.

Kilian: Es ist ein Reifeprozess, der in Gang kommt. Man kommt in die Erwachsenenwelt, man passt sich an und ist nicht mehr nur Teenager.

Anisa: Das Berufsleben macht erwachsener. Wenn man eine Lehre macht, hat man mehr Grundlagen für das, was im Leben wichtig ist, als wenn man nur studiert. Lieber zuerst eine Lehre machen und dann studieren.

Kilian: Sehe ich auch so.

Anisa: Wenn man eine Lehre macht, dann hat man etwas und das gibt auch Sicherheit.

Kilian: Das ist dann stressig, wenn man das Studium abbricht – dann hat man nichts und muss wieder von vorne anfangen.

Standpunkt: Habt ihr euch auch persönlich verändert?

Anisa: Ja klar. Man arbeitet mit Leuten zusammen, die reifer sind und mehr vom Leben erlebt haben und erwachsen sind.

Kilian: Man merkt selber nicht, dass man sich verändert. Aber man wird von anderen darauf angesprochen.

Anisa: Von den Eltern …

Kilian: … und vom Umfeld wird man darauf angesprochen. Du warst 15 Jahre alt, als du die Lehre angefangen hast, oder?

Anisa: Ja, das ist schon krass.

Standpunkt: Ihr seid in derselben Klasse. Wie nehmt ihr euch gegenseitig wahr?

Kilian: Ich finde schon, Anisa ist reifer geworden. Sie spricht anders, offener. Sie ist auch selbstsicherer.

Anisa: Kilian war schon von Anfang an reifer. Er hat ja schon eine zwei-jährige Lehre gemacht. Er ist offener geworden und wir haben ein gutes Verhältnis miteinander.

Kilian: Sich selber beurteilen ist halt schwierig. Die Eltern können das am besten.

Anisa: Sehe ich auch so. Sie kennen einen auch am besten.

Standpunkt: Ihr seid jetzt im zweiten Jahr eurer Berufslehre. Ist die Lehre so, wie ihr es erwartet habt?

Anisa: Es ging megaschnell vorbei dieses Jahr.

Kilian: Wie ein Fingerschnippen. Man hat gar nicht richtig gemerkt, dass man im zweiten Jahr ist.

Anisa: Die Lehre ist ein wenig komplexer, als ich vor der Lehre erwartet habe.

Kilian: Es ist ein laufender Prozess, man gewöhnt sich rasch an Neues. Ich dachte, die Schule wird schwieriger, aber es rollt, man geht mit und entwickelt sich ständig weiter. Man ist im Arbeitsalltag, man geht in die Schule – man hat gar keine Zeit, um darüber nachzudenken.

Anisa: Das geht mir genauso.

Viele Jugendliche schwanken zwischen Studium und Berufslehre. Was sagt ihr als Lernende diesen Jugendlichen?

Anisa: Für mich definitiv, aber sowas von definitiv, die Berufslehre!

Kilian: Es ist individuell. Es gibt Leute, die mehr lernen wollen, dann ist das Studium okay.

Anisa: Das Studium dauert lange, und wenn man nach zwei Jahren abbricht, fängt alles von vorne an. Eine Berufslehre kann man in drei Jahren abschliessen, dafür muss man halt arbeiten, aber am Schluss hat man etwas. Das ist eine solide Grundlage für alles, was dann kommt.

Kilian: Ja, das ist so. Und jeder Arbeitgeber sieht es gerne, wenn du Erfahrung hast. Die Gymeler sind nicht schlauer als wir Lernende. Sie haben mehr Theorie. Aber wir wissen, wie es geht.

Anisa: Genau so ist es.

Interview: Patrick Herr, Standpunkt

Anisa und Kilian Artikel

Zu den Personen

Anisa ist 16 Jahre alt. Sie ist in Balsthal daheim und hat 2020 eine KV-Lehre B-Profil begonnen. Zurzeit arbeitet sie in der Abteilung KMU-Förderung der Wirtschaftskammer Baselland.

Kilian ist 20 Jahre alt. Er ist in Basel daheim und absolvierte bereits eine zweijährige Lehre zum Büroassistenten. Er hat 2020 eine KV-Lehre B-Profil begonnen. Zurzeit arbeitet er bei der Familienausgleichskasse GEFAK.


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